Nach anderthalb Jahren Untersuchungshaft und über 30 Prozesstagen ist gestern ein Urteil gegen die Antifaschistin und unsere Genossin Hanna gefallen.1 Die Generalbundesanwaltschaft forderte eine Gesamtstrafe von 9 Jahren. Der Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung, versuchter Mord und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.Zu einer Verurteilung kam es nur für die Vorwürfe der gefährlichen Körperverletzung sowie der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129. Der Anklagepunkt „versuchter Mord“ konnte trotz Biegen und Brechen der Generalbundesanwaltschaft für das Gericht nicht bewiesen werden. Dennoch ist das Strafmaß extrem hoch: Ganze 5 Jahre soll Hanna in den Knast gehen.

In aller Eindrücklichkeit zeigte dieser Prozess und das Erste, durch ein deutsches Gericht gefällte Urteil im Budapest Komplex, die politische Motivation des Staates Antifaschismus zu kriminalisieren. Hannas Verfahren gibt damit schonmal einen bitteren Vorgeschmack auf die vielen Prozesse, die folgen werden. Seit Beginn der Verhandlungen wird Hanna als besonders gefährliche Straftäterin inszeniert, dies begann schon mit der Wahl des Verhandlungsortes im sogenannten „Terrorsaal“, einem Hochssicherheitssaal für Prozesse mit „besonderem Gefährdungspotential“. Ausgestattet ist dieser mit explosionssicheren Wänden und Decken, sowie unter der Erde ausgelegten und über den Parkplatz gespannten Drahtseilen.

Schon ewährend der Zeit in U-Haft unterlag Hanna einer kontinuierlichen Ungleichbehandlung in der JVA. Ihre Zelle in der Frauenhaftanstalt wurde für drei Wochen freigehalten. Dies sorgte logischerweise bereits unter den Insassinnen für Gerüchte und manifestierte sich in Vorverurteilungen, wer denn diese „Terroristin“ sei, die diese Zelle beziehen würde. Mit solcherlei Methoden wird soziale Isolation politischer Gefangener gegenüber den sozialen Gefangenen besonders befördert. Auch Hannas medizinische Versorgung fand, trotz ernstzunehmenden gesundheitlichen Beschwerden und Schmerzen nur sehr dürftig statt und die Kommunikation nach außen wurde stark eingeschränkt. 

Um Hanna in dieser beschissenen Lage festzuhalten und die Haft zu legetimieren, wurde draußen jeder Stein umgelegt. Denn an Ermittlungseifer fehlte es den Behörden keinenfalls. So wurde nicht gescheut mit pseudowissenschaftlichen Methoden, wie „Superrecognizing“ und 3D-Körperscan, nach kleinsten Indizien zu suchen und diese zum Narrativ der gewalttätigen Straftäterin zusammenzupuzzeln. Als „Superrecognizing“ wird das Erkennen von Personen durch „speziell geschulte“ Kriminalbeamte bezeichnet, die angeblich hunderte Personen an Gang, Körperhaltung und anderer Kleinigkeiten eindeutig identifizieren wollen. Angeblich ist hier das Stichwort – denn im Prozess wird deutlich, dass es bei dieser hohen Wissenschaft eher um „eine Gefühlssache“ handelt. Selbstredend tut dies der Glaubwürdigkeit der „Superrecognizerin“ keinen Abbruch. Beide Methoden sind höchst fraglich, werden aber dennoch, neben weiteren Indizien, herangezogen für die Begründung des Urteils.

Unter den Prämissen, gegen vermeintliche Terrorist:innen vorzugehen ist der Rechtsstaat bereit auf neuartige und höchst fragwürdige Methoden wie 3D-Körperscans und „Superrecognizer“ zurückzugreifen. Auch die mittlerweile verbreiterte Nutzung von KI zur Auswertung von Videomaterial zeichnete sich in diesem Prozess ab – die Verwendung von illegaler Software scheint dabei nichts zur Sache zu tun. Dass Videotechnik Verwendung findet, ist hingegen nichts Neues – das schiere Ausmaß der Datenmengen, die zwischen Ungarn und Deutschland hin und her geschoben wurden, erreichen hier aber ein neues Niveau. Die Kollaboration zwischen den verschiedenen länderübergreifenden Behörden gehen aber nicht nur in nützlich-kollegialer Natur auf. Ungarn liefert Daten, Deutschland wertet aus. Auch im Sinne einer Auslagerung der Strafe erfüllt Ungarn eine praktische Rolle als Erfüllungsgehilfen für den deutschen Staat. Während „menschliche Bedingungen“ in keinem Knast erwartet werden können, ob in Deutschland oder anderswo, lässt sich nicht leugnen, dass der Knast in Ungarn eine ganz andere Dimension an Menschenverachtung darstellt.Dadurch wird eine gezielte Drohkulisse und abschreckende Botschaft an alle Antifaschist:innen gesendet, die es wagen verschiedenste (notwendige) Formen antifaschistischer Interventionen umzusetzen.

Dieser riesige Aufwand wird betrieben um aus einem Körperverletzungsdelikt einen Tötungsversuch einer „Terrororganisation“ zu konstruieren – ohne Namen oder Struktur, Gründungszeitpunkt, geschweige denn Kennverhältnissen. Ganz so, wie sich das die politisch motivierte Staatsanwaltschaft und Polizei wünscht.Man wird den Eindruck nicht los, dass sich die Beweise nach dem bereits zuvor feststehenden Ermittlungsziel zu richten haben.

Das Plädoyer der Nebenklage, vorgetragen von der rechten Szene-Anwältin Nicole Schneiders, welche selbst aktiv in diversen neonazistischen Gruppierungen ist und Anwältin des NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben war, wurde erneut das Bild einer gewalttätigen Straftäterin gezeichnet, dass wir den gesamten Prozess hindurch beobachten durften. Durchweg konnten wir Zeug:innen werden davon, wie stramme Faschos und organisierte Neonazis nicht nur in der Presse sondern auch im Prozess als Tourist:innen, Passant:innen und Musiker verharmlost wurden. Der „Tag der Ehre“ als nette Wanderung von Naturliebhabern.2 

Vor fast zwei einhalb Jahren saßen wir an einem ähnlichen Text in einer ähnlichen Situation. Als Kampagne „Wir sind alle LinX“ begleiteten wir den sog. Antifa-Ost Prozess über mehrere Jahre, ebenso wie jetzt die massiven Repressionen, Prozesse und Vereinzelungsversuche im Budapest Komplex. Es fällt schwer, die bedrückend offensichtlichen Parallelen nicht zu bemerken: 

Schon im Falle von Lina hatte wir es mit extrem langer Untersuchungshaft unter vorgeschobenen Gründen zu tun und das obwohl, wie auch in Hannas Fall, keine Fluchtgefahr bestand. Auch das Sammelsurium an Repressionsmaßnahmen ist nicht unbekannt: Hausdurchsuchungen, Überwachungen, die Durchleuchtung jeder Bekanntschaft und Eindringen in die Privatssphäre. Für eine Verurteilung ist sich kein noch so wahnwitziges Indiz zu schade. Während sich niemand um entlastende Hinweise schert. Selbst wenn man so etwas fände, verschwindet es in den Akten der Ermittlungsbehörde und wird vor Gericht keine Rolle spielen. Dazu kommt die Inszenierung des Prozesses als Terrorverfahren. Wie schon an der Außenstelle des Oberlandesgerichts Dresden, findet Hannas Verfahren in einem besonderen Hochsicherheitssaal statt. Vorverurteilt und inszeniert als Terroristin, in Hannas Fall sogar als versuchte Mörderin! Solidarität soll währenddessen kleingehalten werden, so dass es mehrfach heftige Ordnungsgelder regnete als Prozessbeobachter:innen etwa klatschten. Während die politische Motivation des Staates eine Verurteilung zu erwirken offensichtlich ist, wird versucht den Prozess und die Opfer antifaschistischer Interventionen selbst zu entpolitisieren.

All das ist zwar bei weitem keine Überraschung, aber dennoch ein Schlag in die Magengrube, wenn Freund:innen und Genoss:innen weggesperrt und vor Gerichte gezerrt werden, um einem politischen Schauprozess vorgeführt werden. 

Wie wir bereits in der ersten Runde des „Antifa-Ost-Verfahrens“ äußerten: „Für uns ist es an dieser Stelle nicht das Anliegen, einzelne Formen antifaschistischer Arbeit zu diskutieren, abzuwägen oder zu (de-)legitimieren, denn für uns ist eindeutig, dass es sich bei den vorgeworfenen Körperverletzungsdelikten um antifaschistischen Selbstschutz handelt, wenn man die gesellschaftliche Lebensrealität (…) nicht leugnet.“

https://www.wirsindallelinx.org/statement-urteilsverkuendung/

Wenn sich Antifaschist:innen auf vielfältige Arten und Weisen gegen faschistische Raumnahme wehren, reagiert der Staat empfindlich und mit all seiner Macht – er ist das Gewaltmonopol und eine kämpferische Bewegung, die unter gegebenen Umständen auch Gewalt als Mittel wählt kann und darf es nicht geben. Dass er sich in der Konsequenz immer wieder schützend vor organisierte Faschisten stellt, ist dabei natürlich bloßer Zufall. 

Wir stehen weiter zusammen, für eine kämpferische antifaschistische Bewegung, für Solidarität mit den Leuten, die hinter Gittern verschwinden, für ein Ende eurer Knäste und politischen Repression. Antifa ist legitim und notwendig!

Deswegen: Kommt heute in Nürnberg zu der überregionalen Demo mit Hanna. Lasst uns gemeinsam unsere Wut und Solidarität auf die Straßen tragen. 

Geht weiterhin zu den Knästen oder schreibt Briefe an die Gefangenen um ihnen zu zeigen, dass sie auch hinter den kalten Knastmauern niemals alleine sein werden!

Wir sind alle LinX! Wir sind alle Antifa!

Free Hanna! 

Free all Antifas!

  1. https://alleantifa.noblogs.org/ ↩︎
  2. https://www.basc.news/die-vermeintlichen-opfer-im-budapest-verfahren/ ↩︎

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert